Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

"Auf die erste Prägung kommt es an"

08.12.2011

Neutestamentler Martin Ebner zu Gast an der Universität – Vortrag zur aktuellen Situation der Bibelwissenschaft eröffnet neue Reihe "Theologie treiben mit Würzburger Wurzeln"

Prof. Martin Ebner (Mitte) zusammen mit Prof. Wolfgang Weiß, Vorsitzender des Vereins der Förderer und Freunde der Katholisch-Theologischen Fakultät (links), und Prof. Franz Dünzl, Dekan der Fakultät (Bild: C. Ettl)

(cet) "Ich bin für meine Würzburger Prägung dankbar. Für mich ist das eine Lehre, was meine eigene Lehrtätigkeit angeht: Es kommt auf die erste Prägung an." Dieses persönliche Resümee zog der Bonner Neutestamentler Martin Ebner bei seinem Gastvortrag an der Würzburger Universität. Der renommierte Theologe eröffnete die Vorlesungsreihe "Theologie treiben mit Würzburger Wurzeln", die der Verein der Freunde und Förderer der Katholisch-Theologischen Fakultät in Kooperation mit Fakultät und Katholischer Akademie Domschule ins Leben gerufen hatte.

Historisch-kritische Exegese bleibt unverzichtbar

In seinem durch zahlreiche biographische Schlaglichter und Anekdoten illustrierten Vortrag "Exegese zwischen den Fronten" beschäftigte sich Ebner mit aktuellen Fragestellungen und Herausforderungen der Bibelwissenschaft. Im vollbesetzten Hörsaal in der Neuen Universität am Sanderring brach der Bibliker dabei eine Lanze für die oftmals kritisierte historisch-kritische Bibelauslegung. Diese fragt mit wissenschaftlichen Kriterien nach Entstehungssituation und Entwicklung biblischer Texte. Für Ebner, der von 1991 bis 1997 Assistent am Biblischen Institut war, ist sie die weiterhin unverzichtbare und grundlegende Methode der Textinterpretation. Ihre Kriterien und Erkenntnisse seien in Würzburg, nicht zuletzt durch Rudolf Schnackenburg, Karlheinz Müller und Hans-Josef Klauck, seit langem und ganz selbstverständlich praktiziert und weitergegeben worden. Diese exegetische Ausbildung habe es ihm ermöglicht, "meinen in Würzburg begonnenen Weg fortzusetzen, leicht modifiziert, aber nichtsdestotrotz klar und eindeutig", so der 55-Jährige.

Bibel als Traditionsgeflecht

Biblische Texte stünden in Kommunikation mit konkreten Menschen in konkreten historischen Situationen, sie sprächen in diese Situationen hinein, so der erst vor kurzem von der Universität Münster an den Rhein gewechselte Bibelwissenschaftler. Die Texte der Bibel seien nicht fertig vom Himmel gefallen, sondern von Menschen für Menschen geschaffen und für die jeweilige Gegenwart immer wieder neu modifiziert worden, nicht selten in Auseinandersetzung mit älteren Traditionen. "Die Schrift selbst ist ein Traditionsgeflecht, das in sich höchst beweglich und spannungsreich ist. Die Brüche in diesen Traditionsströmen gehören zu unserer Identität", betonte Ebner. Was dabei verändert, zurückgestellt oder ganz weggelassen wurde, bleibe dennoch als Möglichkeitsform in den Schriften aufbewahrt. "Ihr Christen, erinnert euch eurer Traditionsbrüche und der ungenutzten Traditionsmöglichkeiten. Entwickelt daraus Gedanken- und Handlungsfreiheit!" – so laute das Plädoyer der historisch-kritischen Bibelwissenschaft.

Vielstimmigkeit biblischer Texte nicht einebnen

Zurückhaltend äußerte sich Ebner gegenüber der so genannten kanonischen Exegese, die gerade in jüngerer Zeit an Einfluss gewonnen habe. Diese schalte oft zu schnell die historische Verortung der Texte aus, indem sie sie in den Kontext des gesamten Kanons, der von der Kirche als verbindlich festgesetzten Sammlung biblischer Bücher, versetze. Dadurch laufe sie Gefahr, die Vielstimmigkeit und Vielfalt der Bibel einer binnenkirchlich verlockenden "Einheit" zu opfern. "Als Exeget sehe ich mich als Diener und Hüter des Textes. Die Kunst biblischer Theologie ist es, die eigenen Gegenwart und Vergangenheit im Spiegel der Traditionen so zu erzählen, dass der Schritt ins morgen zuversichtlich gegangen werden kann", so der Neutestamentler.

In seinem mit lang anhaltendem Beifall bedachten Vortrag betonte Ebner die zentrale Rolle, die eine zeitgemäße Sprache und gute Verständlichkeit bei der Vermittlung wissenschaftlicher Forschung spielten. "Ich frage mich, ob Exegese vielleicht nicht auch deswegen kaum in die Öffentlichkeit und schon gar nicht in die Predigten vorgedrungen ist, weil sie nicht genügend Mut hat, die Sprache der Zeit zu sprechen und sich an den Sprachformen der Zeit zu schulen", so Ebner nachdenklich. Zugleich bedauerte er den Produktivitätsdruck, dem Wissenschaftler ausgesetzt seien. Drittmitteleinwerbung und Fundraising benötigten immer mehr Zeit - Zeit, die nicht selten dann für gründliche Forschung fehle.

Aufgabe der Theologie: Sich einmischen in die Deutung der Ereignisse

Grundsätzliche Überlegungen zur Beziehung von Theologie und Kirche rundeten die Ausführungen des in Schweinfurt geborenen Theologen ab. Eine wichtige Aufgabe sprach Ebner dabei der Frage nach dem Verhältnis von Faktum und Deutung zu. Eine der wesentlichen Erkenntnisse moderner Geschichtswissenschaft sei es, dass Fakten und Ereignisse erst dadurch Bedeutung bekämen, dass sie gedeutet und so in einen größeren Zusammenhang gestellt würden. Um solche Deutungen aber werde seit jeher auch gestritten. "Wenn theologische Wissenschaft anschlussfähig bleiben will, kann sie sich diesem Paradigma nicht verschließen", mahnte Ebner, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen katholischen Neutestamentler ist. Zugleich warnte er vor der Versuchung, Deutungen als Fakten erklären zu wollen. "Wir verlieren dabei mehr, als wir gewinnen könnten, wenn wir zu den Deutungen als Deutungen stehen." Denn in den Deutungen zeigten sich Grundoptionen, prägende Einstellungen, letztlich die christlichen Glaubensentscheidungen. Und die wären zur Sprache zu bringen, so Ebner weiter.

Würzburger Theologie "Schrittmacherin einer anschlussfähigen katholischen Exegese"

Zu Beginn der Veranstaltung hatten Wolfgang Weiß, Vorsitzender des Fördervereins, und Franz Dünzl, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, den Bonner Kollegen begrüßt. In seiner Ansprache erinnerte Weiß, Professor für Fränkische Kirchengeschichte, daran, dass bereits vor der Gründung der Universität im Jahre 1582 in Würzburg die Theologie bereits als akademische Disziplin gelehrt worden und damit von Anfang an integraler Bestandteil der Alma Julia gewesen sei. Im 20. Jahrhundert dann habe sich die Würzburger katholisch-theologische Fakultät zur "Schrittmacherin für eine wissenschaftlich anschlussfähige katholische Bibelexegese" entwickelt. Diese habe auch Martin Ebner bleibend geprägt.

Dekan Franz Dünzl zeigte sich erfreut darüber, dass der Förderverein sich nicht darauf beschränke, nostalgische Erinnerungen seiner Mitglieder an die Würzburger Studienzeit zu pflegen und geselliges Beisammensein zu organisieren. "Dafür würde ja auch Facebook genügen", so Dünzl unter dem Gelächter der Zuhörer. Vielmehr fördere die neue Veranstaltungsreihe die theologische Diskussion in Würzburg und mache so die Fakultät in der Öffentlichkeit sichtbarer. Der Kirchenhistoriker betonte zugleich die wichtige Funktion der Bibelwissenschaft für Theologie und Kirche. Mehr denn je stelle sich für die Bibelwissenschaft heute die Aufgabe, Brücken zu schlagen. Sie müsse vermitteln, dass historisch-kritische Exegese nicht die Zerstörung liebgewonnener Glaubenspositionen bedeute. Es gehe vielmehr darum, "den Gewinn dieser Exegese und ihre Relevanz für heute verständlich zu machen", so der Ordinarius für Alte Kirchengeschichte.

Der Stehempfang des Vereins der Freunde und Förderer der Fakultät im Lichthof der Universität im Anschluss an den Vortrag bot die Gelegenheit, bei Frankenwein und anderen Getränken mit dem Referenten und untereinander weiter ins Gespräch zu kommen.

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