Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

Veritati!

25.09.2012

Studienabschlussfeier der Fakultät im Sommersemester 2012

Die Diplomtheologen mit Studiendekan Prof. Dr. Weiß und Prodekan Prof. Dr. Burkard.

Eröffnungsrede des Prodekans Prof. Dr. Dominik Burkard anlässlich der Studienabschlussfeier der Katholisch-Theologischen Fakultät am 20. Juli 2012

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ganz herzlich begrüße ich Sie alle zur akademischen Abschlussfeier der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität am Ende dieses Sommersemesters 2012. Mein Gruß gilt vor allem den Absol¬ventinnen und Absolventen unserer Diplom- und Lehramtsstudiengänge und den jungen Männern und Frauen, die an unserer Fakultät bzw. in der Graduiertenschule für die Geisteswissenschaften promoviert worden sind. Willkommen heiße ich auch Ihre Familienangehörigen und Freunde, das Kollegium sowie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unserer Fakultät, und nicht zuletzt alle Kommilitoninnen und Kommilitonen. Besonders freue ich mich, dass der Präsident unserer Alma Julia in dieser Stunde unter uns ist – Magnifizenz, lieber Herr Kollege Forchel, seien Sie herzlich gegrüßt.

Sehr gerne willkommen heiße ich auch den Vertreter des Bistums Würzburg, Herrn Dr. Klemens Roos. Nicht minder herzlich begrüße ich unsere bewährten Partner, die Regentie des Priesterseminars – Herrn Regens Baumann und Herrn Subregens Gössl, Frau Schneider vom Pasti-Zentrum, Herrn Nickel vom Mentorat künftiger Religionslehrerinnen und -lehrer sowie die Vertreter der Würzburger Ordensgemeinschaften.

Dass heute nicht der Dekan unserer Fakultät vor Ihnen steht, hat einen traurigen Grund. Herr Kollege Dünzl kann aufgrund einer Beerdigung in seiner engeren Familie nicht in Würzburg sein. Er lässt Sie alle herzlich grüßen. Dass an seiner Stelle der Prodekan, der ja eigentlich im Forschungssemester ist, hier steht, mag vielleicht nur symptomatisch zeigen, dass ein sogenanntes „Forschungssemester“ oft nicht viel mehr als ein „lehrfreies“ Semester ist.

Das mag vor Jahrzehnten noch etwas anders gewesen sein. Und Sie erlauben mir – hoffentlich – dass der Kirchenhistoriker Sie kurz in die Vergangenheit entführt. – Aber nur, um Sie auch wieder in die Gegenwart zurückzubegleiten. 

Wer von Ihnen im Laufe seines Studiums ein kirchengeschichtliches Seminar absolvierte, ist in Seminarraum 305 unweigerlich einem strengen, älteren Herrn begegnet, der – äußerlich an Theodor Mommsen, Beethoven oder Franz Liszt erinnernd –von der Wand herab sein gegenüber forschend in den Blick nimmt.

Ich meine Sebastian Merkle, von 1898 bis 1935, also immerhin über 37 Jahre lang, Ordinarius für Kirchengeschichte in Würzburg. Mehrfach war er Dekan seiner Fakultät, lange Jahre Senator der Universität, 1905 – gerade mal 42jährig – deren (vermutlich jüngster) Rektor. Ich denke, es ist heute erlaubt, an ihn zu erinnern – denn am 28. August jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal. Merkles Porträt zieren seine Unterschrift und die knappen Worte: „Mein Wahlspruch: Veritati!“

Nicht „ad maiorem Dei gloriam“, der größeren Ehre Gottes, oder gar „ad maiorem Ecclesiae gloriam“, dem größeren Triumph der Kirche (der „ecclesia triumphans“), glaubte Sebastian Merkle als Hochschullehrer dienen zu müssen, sondern „veritati“! – der Wahrheit, vor allem.

Was sich unspektakulär oder gar banal anhören mag, war zu seiner Zeit eine wahre Herkulesarbeit. Mehr als einmal geriet Merkle in handfeste Auseinandersetzungen und Konflikte. Sei es in dem legendären literarischen Kampf um die Beurteilung der katholischen Aufklärung. Sei es im Kampf um eine gerechtere Beurteilung Martin Luthers. Sei es aber auch im Kampf für die Freiheit und Existenzberechtigung der theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten.

„Veritati“ verstand Merkle – von seinem Fach her – vor allem als Herausforderung für die Geschichtswissenschaft. Wahrheit war für ihn – auch im Raum von Kirche und Theologie – wesentlich geschichtlich zu eruieren. Schonungslos zerstörte er gängige Klischees – nicht aus Kritisierlust, vielmehr aus besserer Einsicht. – Nicht leichtfertig oder gar leicht dahingeworfen, sondern nach eingehender Lektüre und exakter Analyse aller zur Verfügung stehender Quellen. – Nicht um das Alte in Trümmern zurückzulassen, sondern um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Die von Merkle ans Tageslicht geförderte „veritas“ wurde von voreingenommener Seite keineswegs ästimiert, ihr Verfechter, denunziert und als „Modernist“ verleumdet. In seinem Drang, die ganze Wahrheit zu sagen, scheute Merkle die Kritik an kirchlichen Persönlichkeiten und Zuständen nicht, mochten auch die "Rücksichten" und die "Klugheit" noch so dringend davon abraten. Er hielt Kritik im Interesse der historischen Wahrheit für geboten und glaubte, sie auch dem Studierenden nicht vorenthalten zu sollen, damit dieser nicht – wie der Schüler bei Faust – klage, daß man sie ihm verhüllt. Unerschrocken trat Merkle auch zeitlebens für die Unabhängigkeit wissenschaftlicher Forschungsarbeit ein, wo immer sie ihm gefährdet schien.

Damit stieß Merkle vielfach an. Man empfand ihn als streitlustig, seine Vorlesungen gaben Anlaß zu Verwerfungen mit den Vorständen des Priesterseminars und dem bischöflichen Ordinariat, eine angesehene Zeitschrift verweigerte ihm die Aufnahme eines Beitrages aus Furcht vor möglichen Konflikten. Sein Vortrag über die „Vergangenheit und Gegenwart der katholisch-theologischen Fakultäten“, der die brennende Sorge um die Existenz der theologischen Fakultäten an den staatlichen Universitäten zugrundelag, landete – vor genau 100 Jahren – auf den römischen Index der verbotenen Bücher.

Gleichwohl hat die Geschichte Merkle rechtgegeben. Mit seinen Arbeiten zur Beurteilung des Aufklärungszeitalters in der katholischen Kirche hat er diese selbst wirkungsvoll beeinflußt. Seine Auffassung gilt heute als allgemein akzeptiert. Man weiß, daß die katholische Aufklärung viel mehr an positiven religiösen Werten barg, als man in summarischer Verdammung lange Zeit wahr haben wollte.

Man weiß auch, daß am Niedergang des katholischen wissenschaftlichen Lebens im 18. Jahrhundert eigene katholische Schuld ihren Teil beigetragen hat.

Ebenso war Merkles Eintreten für eine gerechtere Beurteilung Luthers in der longue durée von Erfolg gekrönt. Monatelang musste er dafür in der katholischen Presse die heftigsten Anfeindungen über sich ergehen lassen. Dabei ging es ihm um die praktische Einlösung einer theoretisch auch damals längst zugestandenen Selbstverständlichkeit: daß nämlich die Bestimmung dessen, was die Kirchengeschichte an Tatsachen enthalte, nicht zu erfolgen habe durch einen ängstlichen Dogmatismus, sondern einzig durch kritisch-historische Feststellung. Wohlgemerkt: es handelte sich weder um die Deutung der Tatsachen, noch wurde der Dogmatik ihr selbständiger Wert bestritten. Was bestritten wurde, war der Anspruch, von vorneherein festzustellen, was in der Kirchengeschichte möglich, also Tatsache gewesen bzw. nicht gewesen sein könne. Merkle kämpfte gegen eine apriorisch vorgegebene Normierung dessen, was Wissenschaft erkennen kann.

Man gewinnt heute manches Mal den Eindruck, dieser Kampf sei vergeblich gewesen. Etwa, wenn man sich die gegenwärtigen ideologischen Grabenkämpfe um die Deutung des 2. Vatikanischen Konzils anschaut, dessen Eröffnung vor 50 Jahren in diesem Jahr allerorten gedacht wird. Anders verhielt es sich zu Zeiten Merkles mit der Erforschung des Konzils von Trient, mit dem bis heute Merkles Name verbunden ist. Von diesem Konzil des 16. Jahrhunderts sagte er einmal, es habe „in den Augen von Freund und Feind einer alten, verlassenen Burg“ geglichen, „in der nach der Versicherung des Volkes böse Geister und Gespenster ihr Unwesen treiben, an der der nächtliche Wanderer mit Schaudern vorübereilt“. Leopold von Ranke hatte eine Geschichte des Konzils für unmöglich erklärt, weil diejenigen, die sie schreiben wollten, aus Mangel an authentischen Quellen es nicht könnten, jene aber, die diese zum Fließen bringen könnten, es nicht wollten. Auf mehreren Reisen durch zahllose italienische, spanische und französische Archive und Bibliotheken war es Merkle und seinem Spürsinn gelungen, wertvolle Quellen über das Konzil zusammenzutragen, die eine genaue Rekonstruktion seiner Geschichte erlaubten. Die von Merkle herausgegebenen Diarien des Konzils von Trient umfassen in 3 Bänden annähernd 3000 Seiten, methodisch mustergültig ediert, mit Einleitungen, Kommentaren und Indices versehen. Die Arbeit wurde allseitig als wissenschaftliche Glanzleistung katholischer deutscher Theologie gepriesen.

Ich erinnere nicht nur deshalb gerne an Sebastian Merkle, weil er, wie ich – und andere hier im Saal ¬– ein Schwabe ist, sondern weil er es verstanden hat, jene, die sich auf die Geschichte einließen und durch sein strenges Seminar gingen, zu selbstdenkenden Menschen zu erziehen.

Was vermag Merkle uns heute zu sagen? Ich denke, es sind vor allem drei Dinge:

Erst ein intensives, ernsthaftes – und gerade deswegen „lustvolles“ – Studium befähigt zur Kritik. Nur die Detailkenntnis macht immun gegen den Terror überkommener oder auch allgemeiner Urteile.

Überhebliche Vernachlässigung oder gar Zurückweisung historischer Kritik führt – übrigens auch innerkirchlich – leicht in einen unkatholischen, fideistischen Subjektivismus, der zwar ein äußerlich frommes Gesicht haben mag, aber fatale Folgen für die Kirche nach sich zieht.

Die Befreiung, die uns durch die Wahrheit versprochen ist, vollzieht sich nicht im Rückzug ins Ghetto, in die windstillen Winkel der Kirche, sondern im Kampf. Um die Erkenntnis der Wahrheit muss gerungen werden.

„Veritati“ – der Wahrheit! Das war nicht nur Sebastian Merkles Wahlspruch, sondern auch das Motto der Alma Julia – längst vor allen Ziel- und Leitbildprozessen – der „neuen“ Würzburger Universität, hier am Sanderring, aufgeprägt. Dafür steht auf dem Dach unseres Universitätsgebäudes Prometheus, der die Fackeln des geistigen Fortschritts hoch emporschwingt – gegen die finsteren Mächte der Unwissenheit und der Roheit, für Recht und Wahrheit. Rektor war damals – nicht zufällig – ein Theologe: Herman Schell, ein enger Freund Sebastian Merkles. Ihr Credo war in der Universität konsensfähig, weit über die Theologie hinaus.

Ich hoffe, das Haus der Wissenschaften, das Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen heute verlassen, war für sie vor allem – auch vor allem Organisieren und Planen, aller Effizienzoptimierung, aller Roheit, die Studierenden wie Lehrenden, zumal in Umbruchzeiten wie dieser, mitunter entgegenschlägt – ein Ort der Wahrheitssuche.

Doch diese Wahrheitssuche geht weiter. Ich hoffe, wir konnten Sie in den zurückliegenden Jahren Ihres Theologiestudiums mit dem nötigen Rüstzeug versehen, einem Rüstzeug, das Sie in Ihrem Berufsleben brauchen können – und auch ge-brauchen sollten: ob in der Schule, in der Personalabteilung eines Betriebs oder Konzerns, im Medienbereich oder in einer Kirchengemeinde.

Ich hoffe, es ist Ihnen gelungen, durch Aneignung eines differenzierten Wissens, durch den Erwerb eines methodischen Werkzeugs, wie es in dieser Vielfalt wohl in keiner anderen Fakultät angewandt wird, schließlich – auf dieser Basis – durch kritische Reflexion, Ihr persönliches theologisches Koordinatensystem zu entwickeln. Wenn Sie es pflegen, aber auch – behutsam – weiterentwickeln, werden Sie mit ihm allzeit zuverlässig Orientierung finden.

Unbestechliche Wahrheitsliebe, Bereitschaft zu strenger wissenschaftlicher Auseinandersetzung, ernste Kritik, die alles andere ist als unverständiges Nachplappern billiger Kritisiererei, schließlich Aufgeschlossenheit für alle Probleme – diese Merkmale, die bei Sebastian Merkle, dem „Alten“, so sehr ins Auge fallen, werden auch Sie brauchen, liebe Absolventinnen und Absolventen, wenn Sie die Universität nun verlassen und ihren Beruf so ausüben wollen, dass er für andere, aber auch für Sie selbst, fruchtbar wird: Unbestechliche Wahrheitsliebe, Bereitschaft zu strenger wissenschaftlicher Auseinandersetzung, ernste Kritik, und Aufgeschlossenheit für alle Probleme, die Ihnen begegnen.

Dazu wünsche ich Ihnen, wünscht Ihnen Ihre Theologische Fakultät, alles Gute!

Dominik Burkard

 

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