„Alter und Altern – Herausforderungen für die theologische Ethik“
10.09.201537. Fachkongress der Internationalen Vereinigung der deutschsprachigen Moraltheologen und Sozialethiker
Wie kann eine ausreichende und generationengerechte finanzielle Absicherung im Alter sichergestellt werden? Was erfordert menschenwürdige Pflege? Wie kann die Bewältigung des Alters so gestaltet werden, dass ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmtheit erhalten bleibt? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 37. Fachkongresses der Internationalen Vereinigung der deutschsprachigen Moraltheologen und Sozialethiker, der vom 06.-09. September 2015 in Würzburg stattfand.
Ziel des Kongresses war es, wie der Würzburger Moraltheologe und Organisator des Fachkongresses, Prof. Dr. Stephan Ernst, in seinem einleitenden Grußwort betonte, „im interdisziplinären Gespräch mit Medizin (Gerontologie), Anthropologie, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften die zentralen individual- und sozialethische Fragestellungen einer alternden Gesellschaft zu diskutieren“.
Insgesamt nahmen an dem Fachkongress etwa 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Fächern Moraltheologie und Sozialethik teil. Den Eröffnungsvortrag „Selbstbestimmt leben im Alter“ hielt der renommierte Heidelberger Psychologe und Gerontologe Prof. Dr. Andreas Kruse. In zahlreichen Einzelbeiträgen und Gruppendiskussionen wurden sodann über vier Tage hinweg verschiedenste Problemfelder rund um das Thema des „Alter und Altern – Herausforderungen für die theologische Ethik“ beleuchtet. Auch die interkulturelle Sicht war mit einem Referat über Probleme und Hoffnungen alternder Menschen im kulturellen Kontext Japans vertreten. Gerahmt wurde der Fachkongress durch eine Eucharistiefeier mit Bischof Dr. Friedhelm Hofmann mit anschließendem Empfang im Dommuseum, eine Weinprobe im staatlichen Hofkeller sowie diverse Exkursionen und Führungen.
Den Schlusspunkt des Kongresses bildete eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema „Menschenwürdige Pflege – Herausforderungen für Politik und Kirche“. Zunächst konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in kurzen Statements ihren Standpunkt darlegen, anschließend bestand die Möglichkeit zur Diskussion und für Rückfragen.
Als Anwalt pflegebedürftiger Menschen trat der Sozialpädagoge und Buchautor Claus Fussek auf, der den Alltag in vielen deutschen Pflegeheimen als für die Betroffenen “beschämend“ und „würdelos“ beschrieb. Nachdrücklich prangerte Fussek auch das allgemeine Schweigen angesichts dieser Missstände an. Insbesondere von den Kirchen forderte er mehr Engagement, wenn es darum gehe, die „gottgegebene Würde“ pflegebedürftiger Menschen einzufordern.
Die Psychologin und Gerontologin Dr. Elisabeth Jentschke beleuchtete das Thema der menschenwürdigen Pflege in palliativmedizinischer Hinsicht. Maßgeblich, so Jentschke, sei hier v.a. ein ganzheitlicher Ansatz, der neben der pflegerischen auch medizinische, psychosoziale und spirituelle Betreuung umfasse. Das Ziel der Palliativmedizin sei es, den Betroffenen ein „würdevollen Sterben“ und den Angehörigen ein „gutes Weiterleben“ zu ermöglichen.
Einen „Pflegenotstand“ diagnostizierte der Sozialethiker Prof. Dr. Bernhard Emunds, da die Kosten der Pflegeleistungen nicht durch die Beiträge der Pflegeversicherung gedeckt werden könnten. Die Konsequenz, so Emunds, sei eine Überlastung des professionellen Pflegepersonals, eine Überforderung pflegender Angehöriger und ein Import billiger Pflegekräfte aus dem Ausland. Demgegenüber forderte er eine Aufwertung der Pflegeberufe und eine bessere Unterstützung pflegender Angehöriger (z.B. durch die Zahlung eines Pflegegelds als Lohnersatzleistung).
Der Freiburger Weihbischof Dr. Bernd Uhl, der auch Mitglied der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz ist, erläuterte das Leitbild kirchlicher Pflegeeinrichtungen. Dabei betonte er, dass eine menschenwürdige Pflege sowohl im Pflegeheim als auch Zuhause möglich sei. Mit Sorge problematisierte er die zunehmende Vereinsamung pflegebedürftiger Menschen und unterstrich daher auch die Bedeutung der sozialen Betreuung. Es dürfe nicht sein, so Uhl, dass ein Betroffener, wie der Kranken am See Bethesda zu Jesus, sage: „Ich habe niemanden ..., der mir hilft.“
Einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der sich am Maß der Selbständigkeit der Betroffenen orientiere, sowie ein neues Begutachtungsverfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit forderte schließlich der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Patienten- und Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller. Wie Emunds sprach auch er sich weiterhin für eine Aufwertung der Pflegeberufe aus. Der „Dienst am Menschen“, so Zöller, müsse einen höheren Stellenwert besitzen, als die „Arbeit an Dingen“.
Abschließend zog der Moderator der Diskussion, der Sozialethiker Prof. Dr. Gerhard Kruip, Bilanz. Zwar habe auch der Fachkongress keine Patentrezepte erbracht. Klar sei allerdings geworden: Die Frage nach einem angemessenen Umgang mit dem Alter und dem Altern bzw. mit alten (pflegebedürftigen) Menschen sei „eine der Schicksalsfragen unserer Gesellschaft“.