"Non Scholae!"
03.07.2015Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Dr. Gerhard Droesser
Mit einer Abschiedsvorlesung zum Thema „Non Scholae – Anfänge in der Warteschleife: Please hold the line“ beendete Prof. Dr. Dr. Gerhard Droesser am Dienstag, den 30.06.2015, symbolisch seine akademische Laufbahn. Zu der Vorlesung im HS 318 der Neuen Universität waren zahlreiche Mitarbeiter/-innen und Studierende der Kath.-Theol. Fakultät gekommen, um dem ehemaligen Kollegen und akademischen Lehrer gegenüber ihren Dank und ihre Anerkennung zum Ausdruck zu bringen.
In seiner Vorlesung ging Droesser der Frage nach, inwiefern seine eigene Biographie maßgeblich war für die Ausbildung seines sozialethisches Ansatzes. Als Ausgangspunkt wählte er seine Kindheitserfahrungen im Augsburg der Nachkriegszeit – die Allgegenwart von Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten –, die ihn nach einer Erklärung hätten fragen lassen. Doch sei sein Fragen bei den Eltern auf taube Ohren gestoßen – symptomatisch für die damalige Gesellschaft, die die Nazi-Zeit weitgehend verdrängt hätte und vom „Willen zum Alltag“ sowie einem unkritischen politischen Konformismus geprägt gewesen sei. Mit den starren gesellschaftlichen Konventionen, so Droesser, habe er sich nur schwer arrangieren können und diese daher nicht selten unterlaufen.
Nach und nach sei in ihm ein Gedanke herangereift, der schließlich zum Leitmotiv seines sozialethischen Ansatzes werden sollte: Dass eine gelingende Selbstwerdung des Menschen Freiheit voraussetze, die wiederum eine kritische Distanz zur Gesellschaft erfordere. Erstmals habe er diese Freiheit durch das Studium der Philosophie in München erfahren, im Rahmen dessen er auch mit dem gesellschaftskritischen Gedankengut der Frankfurter Schule in Berührung gekommen sei. Die entscheidenden Impulse für die Ausbildung seines sozialethischen Ansatzes, so Droesser, verdanke er aber v.a. der Lektüre Hegels und Schleiermachers. Als gewinnbringend habe er auch das Studium fremder Kulturen empfunden, insofern ihn dieses von der Wahrnehmung der Realität ausschließlich aus dem Blickwinkel der eigenen Kultur „befreit“ habe.
Was also, so fragte Droesser abschließend, kann die Sozialethik leisten? Seine Antwort: Sie könne dem Einzelnen, der sich vielfach als ein Gefangener gesellschaftlicher Abhängigkeiten erlebe, Orientierung bieten, indem sie sein Freiheitbewusstsein fördere und seine Urteilsfähigkeit ausbilde und damit letztlich zum Gelingen seiner Selbstwerdung in kritischer Distanz zur Gesellschaft beitragen. In diesem Sinne fasste Droesser dann auch sein Anliegen als akademischer Lehrer zusammen. Er habe aufklären wollen über die Gesellschaft als Bedingung der Selbstwerdung des Menschen.
Der Dekan der Kath.-Theol. Fakultät, Prof. Dr. Heribert Hallermann, würdigte in seinem Grußwort das langjährige Wirken Droessers und charakterisierte dieses durch die Stichworte „Freiheit – Solidarität – Verantwortung“. Freiheit habe Droesser v.a. seinen Studierenden gelassen. Er habe keinen Wert darauf gelegt, dass diese seine Worte und Gedanken möglichst unverfälscht wiedergeben konnten, sondern sie immer wieder dazu herausgefordert, ihre eigenen Gedanken zu formulieren und argumentativ zu begründen. Solidarität habe Droesser nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt. Er habe sich immer als Teil der Fakultät und der Universität verstanden und seinen Lehrstuhl niemals als eine einsame Insel betrachtet. Verantwortung habe Droesser bereitwillig übernommen und nicht nur davon geredet. Er sei mehrfach Vorstand des Instituts für Praktische Theologie sowie von 1999 bis 2001 und von 2005 bis 2007 Dekan der Kath.-Theol. Fakultät gewesen.
„Was bleibt über den Tag hinaus?“ So fragte Hallermann abschließend. „Ich möchte es ganz persönlich sagen: Aufgrund der vielen Gespräche, die ich mit Dir im Lauf der Jahre geführt habe, wird mir vor allem Dein Blick in Erinnerung bleiben: Klar und aufmerksam, wach, am anderen interessiert, auf Dein Gegenüber gerichtet ohne unangenehm zu werden, warmherzig.“
Im Namen der Studierenden würdigte auch der stellverstretende Fachschaftssprecher, Andy Theuer, das Wirken Droessers. Durch seine unkonventionelle, provokante und zuweilen anstößige Art, aber auch durch die Vielfalt der behandelten Themen, habe Droesser die Studierenden stets für sein Fach begeistern können.
Droesser wurde 1948 in Augsburg geboren. Ab 1968 studierte er in München Germanistik, Geschichte und geschichtliche Hilfswissenschaften, Philosophie, Fundamentaltheologie und Dogmatik. Ein erster Abschluss erfolgte 1974 mit dem Magister Artium und einer Arbeit über „Geschichte und Utopie bei Ernst Bloch“. 1978 wurde Droesser mit einer Dissertation zum Thema „Konstruktion und Rekonstruktion. Über den Zusammenhang von geschichtlichem Handeln und historischem Verstehen“ zum Dr. phil. promoviert. Von 1978 bis 1981 studierte er in Tübingen katholische Theologie. Seine Diplomarbeit zum Thema „Ernst Troeltsch – Theologie unter den Bedingungen des Historismus“ schrieb er bei Walter Kasper. Die Promotion zum Dr. theol. erfolgte 1988 aufgrund der Dissertation „Freiheitspraxis im Prozess. Zur geschichtsanthropologischen Grundlegung einer Theologie des Ethischen“. Die Habilitation erfolgte 1989 aufgrund der Habilitationsschrift „Die Ethoskonsequenz der Religion“. Nach verschiedenen Lehrstuhlvertretungen und Lehraufträgen in Salzburg, Paderborn und Villingen-Schwenningen und einer einjährigen pastoralen Tätigkeit übernahm Droesser ab dem WS 1993/1994 die Lehrstuhlvertretung am Institut für Christliche Sozialwissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Würzburg. Zum 01.10.1996 wurde er zum C4-Professor und Lehrstuhlinhaber für das Fach Christliche Sozialwissenschaften berufen. Nach dem Ende seiner regulären Dienstzeit am 31.03.2014 übernahm er für ein weiteres Jahr eine Seniorprofessur übernommen und vertrat das Fach im SS 2015 im Rahmen eines Lehrauftrags.