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Katholisch-Theologische Fakultät

Wichtige Textedition zur Ethik des Mittelalters

14.11.2011

Erste, kritische Ausgabe der bedeutendsten Tugendsumme des 12. Jahrhunderts erschienen – Edition im Rahmen eines DFG-Projekts am Würzburger Lehrstuhl für Moraltheologie

Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale de France, Cod. lat. 3229, fol. 5r (Ausschnitt)

Das „Speculum universale“ des Radulfus Ardens († um 1200) ist eine der ersten systematischen Gesamtdarstellungen der Moraltheologie überhaupt. Dennoch existierte bislang keine gedruckte Ausgabe des sonst nur in Handschriften und damit nur für Spezialisten zugänglichen Textes. Diese forschungsgeschichtliche Lücke wird seit 2005 durch ein DFG-Forschungsprojekt geschlossen, das am Würzburger Lehrstuhl für Moraltheologie angesiedelt ist. Nun ist der erste Band der kritischen Ausgabe in der renommierten Reihe „Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis“ erschienen.

Schon in seiner äußeren Anlage ist das „Speculum universale“ – entstanden gegen Ende des 12. Jahrhunderts und mit seinen insgesamt 14 Büchern die umfangreichste Ethik der Frühscholastik – für die damalige Zeit ungewöhnlich. Denn – so erläutern die Herausgeber, Dr. Claudia Heimann und Prof. Dr. Stephan Ernst – Radulfus ordne die grundlegenden moraltheologischen Themen nicht, wie sonst üblich, in ein begrifflich-systematisches oder heilsgeschichtliches Gliederungsschema ein. Vielmehr lege er seinem Werk die Systematik einer allgemeinen und speziellen Tugendlehre zugrunde und ordne dieser alle Themen der Dogmatik zu.

Theologie als praktische Wissenschaft

Damit hat Radulfus Ardens die Theologie schon damals als praktische Wissenschaft interpretiert, in der die Glaubensinhalte stets in ihrer Ausrichtung auf das ethische Handeln hin zu verstehen sind und von hierher ihre Relevanz erhalten. Auch die zahlreichen anschaulichen Beispiele, die Radulfus zu den behandelten ethischen Themen anführt, lassen die pastorale und pädagogische Grundausrichtung des „Speculum universale“ deutlich werden.

Differenzierte Anthropologie

Der jetzt veröffentlichte erste Band bietet neben einer ausführlichen Einleitung, in der eine allgemeine Charakterisierung des Werks, eine wissenschaftliche Untersuchung zur Biographie des Radulfus Ardens sowie eine eingehende Beschreibung der Handschriften und ihrer Abhängigkeiten enthalten ist, den kritischen Text der Bücher 1 bis 5 des „Speculum universale“. Diese beinhalten die Grundlagen der Ethik und der Tugendlehre, Bereiche, die heute als theologische Fundamentalethik oder allgemeine Moraltheologie bezeichnet werden. Der in Frankreich geborene Radulfus Ardens war Vertreter der im 12. Jahrhundert für die Theologie einflussreichen Schule der Porretaner. Zugleich war er damit durch die fortschrittliche „Schule“ von Chartres beeinflusst, die den Erkenntnissen der weltlichen Wissenschaften aufgeschlossen gegenüber stand. In seinem Werk entfaltet Radulfus eine außerordentlich differenzierte Anthropologie und Seelenlehre. Eindringlich zeigt er, wie das sittliche Handeln und Wollen des Menschen von äußeren Bedingungen und Vorgaben, von „Feinden“ und „Freunden“, beeinflusst und getragen ist.

Würzburger Projekt leistet wichtige Grundlagenforschung

Das Würzburger DFG-Projekt schließt eine seit langem bestehende und immer wieder beklagte Lücke der Forschung. Mit dem jetzt erschienenen ersten Band der geplanten Gesamtedition sei – so die Herausgeber – ein weiterer Beitrag zu den Grundlagen geleistet, auf denen die seit langem anstehende Erforschung der Geschichte der theologischen und philosophischen Ethik des Mittelalters aufbauen könne. Die Herausgeber hoffen deshalb, dass die DFG auch die Fertigstellung der weiteren Editionsbände des „Speculum universale“ fördert.

Weitere Informationen:

Dr. Claudia Heimann, Lehrstuhl für Moraltheologie, Paradeplatz 4, Tel. 0931/31-81050, E-Mail: claudia.heimann@theologie.uni-wuerzburg.de

Bibliographische Notiz:

Claudia Heimann/Stephan Ernst (Hrsg.), Radulfi Ardentis Speculum universale, libri I-V (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis [CCCM] 241), Turnhout: Brepols 2011, 486 Seiten, € 310,- (ISBN 978-2-503-53664-4).

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