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Katholisch-Theologische Fakultät

Der Strafanspruch der Kirche in Fällen von sexuellem Missbrauch

19.10.2011

Kanonistische Fachtagung ging der Frage nach dem kirchlichen Umgang mit dem Thema Missbrauch nach - Mehr als 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Sabrina Pfannkuche, Mainz, und Prof. Dr. Heribert Hallermann, Würzburg

Mehr als siebzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich, Luxemburg und dem Vatikanstaat hatten sich vom 4. bis 6. Oktober 2011 im Bistumshaus der Diözese Eichstätt Schloss Hirschberg eingefunden, um an der wissenschaftlichen Fachtagung teilzunehmen, zu der die Lehrstühle für Kirchenrecht an den Universitäten Mainz und Würzburg eingeladen hatten: Kirchenrechtlerinnen und Kirchenrechtler aus Wissenschaft und Verwaltungspraxis, ein Generalvikar, Missbrauchsbeauftragte aus verschiedenen Diözesen, Moraltheologen, Psychologen und Psychiater, Staats- und Rechtsanwälte sowie Studierende der Theologie und der Psychologie gingen in Vorträgen, Diskussionen und Workshops der Frage nach, ob und wie die Kirche mit Mitteln des kirchlichen Strafrechts angemessen auf Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker und andere kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagieren kann.

Experten aus verschiedenen Fachgebieten

Der Theologe und Psychologe Dr. Ruthard Ott, Würzburg/Münsterschwarzach, ließ einleitend das Phänomen des sexuellen Missbrauchs in der Kirche in seinen vielen Facetten deutlich werden: Er nannte Zahlen und Fakten, stelle typisches Täterverhalten und Täterstrategien vor, ging auf die Auswirkungen von Missbrauchserfahrungen sowohl auf die Opfer als auch auf die betroffenen Gemeinden und Institutionen ein und machte strukturelle Bedingungen sexueller Gewalt deutlich. Prof. Dr. Matthias Pulte, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Universität Mainz, ging sowohl auf den Strafanspruch des Staates als auch auf den Strafanspruch der Kirche ein. Deutlich wurde dabei, dass von den beiden Rechtsordnungen mit den jeweiligen Bestimmungen zum sexuellen Missbrauch Minderjähriger je verschiedene Rechtsgüter geschützt werden: Der Staat schützt die sexuelle Selbstbestimmung und die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, während die gegenwärtige kirchliche Rechtsordnung primär die zölibatäre Lebensweise der Kleriker und ein dem kirchlichen Dienst entsprechendes Verhalten schützen will. Während die staatliche Rechtsordnung alle Personen als mögliche Täter erfasst, greift das kirchliche Strafrecht lediglich für Kleriker als mögliche Täter. Kritisch fragte der Referent, warum in kirchlichen Strafprozessen nur Kleriker als Gerichtspersonal vorgesehen sind und warum die Verfahren der päpstlichen Geheimhaltung unterliegen. Gerade diese hohe Verpflichtung zur Verschwiegenheit erweist sich als Hindernis bei der dringend erforderlichen Rechtsfortbildung in der Kirche.

Der an der Universität Innsbruck tätige Kirchenrechtler Prof. Dr. Wilhelm Rees, ein ausgewiesener Fachmann für kirchliches Strafrecht, stellte in seinem Vortrag die geltenden Normen der Kongregation für die Glaubenslehre über die schwerwiegenderen Delikte vor; diese Normen wollen ein koordiniertes Vorgehen in der Kirche gegen sexuellen Missbrauch ermöglichen und so einer Vertuschung in einzelnen Teilkirchen ebenso begegnen wie einer unangemessenen Vorgehensweise. P. Dr. Rafael Rieger OFM, Mitarbeiter an der römischen Glaubenskongregation, konnte in der Diskussion zu Anfragen Stellung nehmen und weiterführende Erläuterungen geben. Prof. Dr. Heribert Hallermann, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Universität Würzburg, ging anschließend auf die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger ein. Die Leitlinien versuchen, alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erfassen und setzen ein Verständnis des sexuellen Missbrauchs im Sinne des 13. Abschnitts des deutschen Strafgesetzbuchs voraus. Die Leitlinien sind kein Gesetz der Bischofskonferenz; sie können in den einzelnen Diözesen nur dann Rechtskraft erlangen, wenn dort ordnungsgemäß entsprechende diözesane Gesetze erlassen werden. Weil aber der Rechtscharakter der Leitlinien von vielen Bischöfen nicht erkannt wird, ist diese Umsetzung bislang nur in wenigen Fällen geschehen. Weitere Fragen ergaben sich im Hinblick auf die Rolle der Missbrauchsbeauftragten, auf eine mögliche Verdoppelung von Verfahrensschritten, auf die mangelnde Verknüpfung der Leitlinien mit dem universalkirchlichen Recht sowie auf die notwendige Unterscheidung zwischen disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Maßnahmen.

Workshops zu  Einzelfragen

Insgesamt sieben verschiedene Workshops boten die Möglichkeit, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer intensiver mit Einzelfragen auseinandersetzen konnten. So ging es um die Reaktionsmöglichkeiten der kirchlichen Oberen bei einer Anzeige sexuellen Missbrauchs, um die Vorgehens- und Verfahrensweise im kirchlichen  Strafprozess, um den Beweiswert staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen in kirchlichen Strafverfahren, um die angemessene und gerechte Strafe, um die Rehabilitierung unschuldig Angeklagter sowie um die Aufgaben des Anwalts und der Gutachter im kirchlichen Strafprozess.

Der Würzburger Moraltheologe Prof. Dr. Stephan Ernst beleuchtete das Tagungsthema aus moraltheologischer Sicht. Für die Moraltheologie stellt der sexuelle Missbrauch einen Verstoß gegen die Personenwürde und somit eine in sich schlechte Handlung dar. Das Unrecht einer Missbrauchstat besteht zum einen darin, dass eine Handlung gegen den Willen des Opfers durch Anwendung von Zwang und Gewalt moralischer oder physischer Art geschieht. Eine zweite Dimension des Unrechts ist darin zu finden, dass den Opfern oft erhebliche und nachhaltige Schäden in Form von Verletzungen und Traumatisierungen zugefügt oder solche wenigstens in Kauf genommen werden. Weitere Dimensionen des Unrechts ergeben sich aus der Verletzung der Fürsorge- und Schutzpflicht, aus der Schädigung des Ansehens und der Glaubwürdigkeit der Kleriker sowie der Kirche und ihrer Botschaft insgesamt sowie – bei Klerikern – aus der Verletzung des Zölibatsversprechens. Dem angemessen ist nicht eine Kasuistik, sondern eine differenzierte und situationsgerechte Beurteilung der Tat nach dem Maß des verursachten Schadens.

Im abschließenden Vortrag setzte sich der Münchener Kirchenrechtler Prof. P. Dr. Stephan Haering OSB mit der Reichweite und den Grenzen des kirchlichen Strafrechts im Vorgehen gegen Sexualstraftäter auseinander. Wie während der Tagung wiederholt angesprochen wurde, so hob auch er das Ungenügen der geltenden strafrechtlichen Normen der Kirche im Fall des sexuellen Missbrauchs hervor und wies darauf hin, dass die laufende Überarbeitung des sechsten Buches des CIC (Strafrecht) diesbezüglich Verbesserungen erwarten lasse. Kritisch wies der Referent anhand eines bekannten Beispiels einer Diözese darauf hin, dass insbesondere auf Öffentlichkeitswirkung bedachte oder von der Medienwirkung diktierte Aktionen weder den Opfern noch den Tätern noch dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Kirche nützten, insbesondere auch, weil dabei von Seiten der Diözesanleitungen gerade im Bereich des kirchlichen Datenschutzes vielfältig geltendes kirchliches Recht gebrochen wird. Somit kann eines der wichtigen Strafziele, nämlich die Gerechtigkeit wieder herzustellen, nicht erreicht werden.

Fachlicher Austausch soll weitergehen

Die Tagung in Schloss Hirschberg bot vielfältigen Raum für den interdisziplinären Austausch und die Diskussion. Am Ende der Tagung stand jedoch die Erkenntnis, dass viele der aufgeworfenen Fragen noch eines vertiefenden Studiums bedürfen, um befriedigend beantwortet werden zu können. Zudem bedürfen die jeweiligen rechtlichen Grundlagen auf den verschiedenen Verfassungsebenen der Kirche einer tiefgreifenden Verbesserung. Die Tagungsleitung wurde gebeten, an die Glaubenskongregation und an die Bischofskonferenz den Wunsch heranzutragen, einen fachlichen Austausch über die abgeschlossenen Strafverfahren zu ermöglichen, um auf diese Weise zur Rechtsfortbildung beitragen zu können.

Die wissenschaftliche Fachtagung wurde in Kooperation der beiden Lehrstühle für Kirchenrecht in Mainz und in Würzburg veranstaltet. Die Tagungsleitung lag bei Prof. Dr. Matthias Pulte, Mainz, und Prof. Dr. Heribert Hallermann, Würzburg. Bei der Konzeption, Vorbereitung und Durchführung der Tagung wurden sie wesentlich unterstützt durch ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter Sabrina Pfannkuche und Dr. Thomas Meckel. Mit ihnen teilten sich Michael Karger, Erfurt, und Yen Nguyen, Frankfurt/St. Georgen, die Aufgaben der Moderation der einzelnen Diskussionen.

(Text: Prof. Dr. Heribert Hallermann)

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