Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

Das Speculum universale des Radulfus Ardens

19.11.2020

Zweiter Band der kritischen Edition erschienen

Codex Lissabon BN Fundo Iluminado 88 (15. Jh.), fol. 174v

Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Projekts „Kritische Edition des Speculum universale des Radulfus Ardens“, das am Würzburger Lehrstuhl „Theologische Ethik – Moraltheologie“ angesiedelt ist, ist nun der Zweite Band der Edition erschienen. Die Herausgeber und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts freuen sich, dass damit ein weiterer Teil des bisher nur in mittelalterlichen Handschriften zugänglichen Textes nun in einer verlässlichen Ausgabe vorliegt und so für die breitere mediävistische Forschung in Theologie, Philosophie und Geschichtswissenschaften verfügbar ist.

Das Speculum universale des Radulfus Ardens ist die umfangreichste und bedeutendste systematische Gesamtdarstellung der theologischen Ethik im 12. Jahrhundert. Über den Autor selbst ist kaum Sicheres greifbar. Deutlich ist jedoch, dass Radulfus Ardens – wie Alanus von Lille, Johannes von Salisbury, Simon von Tournai, u.a. – dem Kreis der von Gilbert von Poitiers beeinflussten Theologen des 12. Jahrhunderts, zugehört. Charakteristisch für diesen Theologenkreis ist es u.a., dass in der Tugendlehre antike philosophische Tugendeinteilungen und ein entsprechendes philosophisches Tugendkonzept rezipiert werden. Die Porretaner unterscheiden sich darin markant von Petrus Lombardus und seinem Schülerkreis. Während diese in der Ethik ein primär theologisches, von der Gnade Gottes her gedachtes Tugendverständnis haben und die sittlichen Grundhaltungen auf die geschenkte Tugend der caritas reduzieren, bringen die Porretaner die Eigenwirklichkeit des Menschen zur Sprache. Bei Radulfus Ardens wird diese Eigenwirklichkeit des Menschen in seiner Anthropologie und der darauf aufbauenden speziellen Tugendlehre ausführlich entfaltet. Besondere Bedeutung kommt dabei auch dem Konzept der Komplementärtugenden zu. Dieser Blick auf die Eigenwirklichkeit des Menschen macht den Ansatz des Radulfus für eine heutige theologische Ethik interessant, in der die Einbeziehung der Humanwissenschaften eine zentrale Rolle spielt.

Nachdem der Erste Band eine Allgemeine Tugendlehre enthielt, in der es – neben einer Wissenschaftslehre – um die Klärung des Tugend- und Lasterbegriffs, vor allem aber auf der Grundlage einer differenzierten Seelenlehre um die Frage nach den Entstehungsbedingungen von Tugenden und Lastern geht, beginnt mit dem Zweiten Band, der die Bücher VII-X des Speculum universale enthält, die Spezielle Tugendlehre. Hier stehen vor allem die diskretiven oder auch Verstandes-Tugenden (Glaube, Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut und Maßhaltung) im Mittelpunkt. Im Rahmen des Traktats über den Glauben finden sich dabei zugleich ausführliche dogmatische Ausführungen zur Trinitätslehre, zur Christologie und zur Sakramentenlehre.

Der Dritte Band der Edition, der die Bücher XI-XIV über die affektiven Tugenden und die Tugenden des äußeren Menschen, enthalten wird, soll – wiederum gefördert durch die DFG – in den nächsten Jahren erscheinen und damit die Kritische Ausgabe des Speculum universale abgeschlossen werden.

 

Radulfi Ardentis Speculum universale, libri VII-X, ed. Claudia Heimann/Stephan Ernst (Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis 241A), Turnhout 2020, LXXXVI + 800 Seiten.

 

Weitere Bilder

Zurück