Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

Angewiesen auf menschliche Vernunft und Erfahrung

17.06.2010

Ringvorlesung "Was treibt die Theologie" ging in die letzte Runde – Liturgiewissenschaft und Moraltheologie im Gespräch

Professor Stephan Ernst (links) und Professor Martin Stuflesser (Foto: A. Schilling)

(cet) Erneut gut gefüllt war das Auditorium beim vierten und letzten Abend der Ringvorlesung der Katholisch-Theologischen Fakultät im Sommersemester, an dem die beiden Würzburger Ordinarien Martin Stuflesser und Stephan Ernst ihre Fachgebiete Liturgiewissenschaft und Moraltheologie vorstellten und miteinander ins Gespräch brachten. Dabei zeigte sich einmal mehr die wichtige Rolle, die das Zweite Vatikanische Konzil für das Selbstverständnis einer zeitgemäßen, an aktuellen Fragestellungen interessierten Theologie spielt.

„Ein alter kirchlicher Grundvollzug, aber eine junge Disziplin der Theologie“, so charakterisierte der Würzburger Liturgiewissenschaftler Martin Stuflesser in seinem Eröffnungsbeitrag „Liturgiewissenschaft: Theologie zwischen gefeiertem Glauben und gelebter Hoffnung“ sein Fach. Letztlich sei dieses Wissenschaftsgebiet eine Frucht des Zweiten Vatikanums und habe im Zuge der Liturgiereform eine besondere Blüte erlebt.

Dem Diktum Wilhelm von Humboldts folgend, dass jede Wissenschaft sich durch einen Gegenstand und eine Methode auszeichne, ging Stuflesser zunächst der Frage nach dem Material- und anschließend nach dem Formalobjekt des Faches Liturgiewissenschaft nach. Ersteres zeige sich in den „sprachlichen und nicht-sprachlichen Ausdrucksformen der Liturgie in synchroner und diachroner Perspektive, also in aktuellen wie historischen Feierformen“.  Dabei müssten strenge wissenschaftliche Kriterien entwickelt werden um festzulegen, wann etwas „Liturgie“ ist und wann nicht, wie Stuflesser auch anhand zweier Videoausschnitten verdeutlichte.

Zu berücksichtigen sei dabei auch die Vielfalt rituellen Handelns im kirchlichen wie außer-kirchlichen Bereich. „Gerade weil nicht jedes rituelle Handeln im weiteren kirchlichen Kontext mit der Liturgie der Kirche gleichzusetzen ist, ergeben sich hier spannungsreiche Bezüge und Verweiszusammenhänge“, so der seit 2007 in Würzburg lehrende Liturgiewissenschaftler.

Liturgiewissenschaft: historisch, systematisch, praktisch-theologisch

Anschließend skizzierte Stuflesser anhand einiger Beispiele die drei klassischen methodischen Zugangswege des Faches. Als historisch arbeitendes Fach biete die Liturgiewissenschaft einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Feiergestalt der Liturgie und suche deshalb den Austausch mit der Kirchen- wie mit der Profangeschichte, mit der Archäologie, den Kulturwissenschaften, der Kunst- und Musikgeschichte. Als systematisch angelegte Wissenschaft biete die Liturgiewissenschaft eine theologische Erschließung der Liturgie und ihrer unterschiedlichen Feiergestalten; hier seien u.a. Philosophie, biblische und systematische Theologie und Ökumene mögliche Diskurspartner.  Eine pastoral-praktische Methodik schließlich entwickle „konkrete Modelle, wie das spannungsreiche Verhältnis von Sinngehalt und Feiergestalt der Liturgie konkret zu gestalten ist. Sie begleitet Reformprozesse der Liturgie durch kritische empirische Forschung, hinterfragt Plausibilitäten und entwickelt Methoden zur liturgischen Qualitätssicherung“, so der Theologe.

„Liturgiewissenschaft reflektiert den gelebten Glauben. Liturgiewissenschaft reflektiert auf gelebte Hoffnung hin. Liturgiewissenschaft wirkt und arbeitet in produktiver Spannung zwischen gefeiertem Glauben und gelebter Hoffnung“,  so das Fazit Stuflessers.

Moraltheologie: Theologische Ethik nicht nur für Christen

In seinem Statement „Moraltheologie als Theologische Ethik – Die Bedeutung des christlichen Glaubens für das ethische Handeln“ bot im Anschluss daran Stephan Ernst, Inhaber des Würzburger Lehrstuhls für Moraltheologie, eine Standortbestimmung seines Fachs. So sehr sie der biblisch-moraltheologischen Tradition und den ethischen Positionen des kirchlichen Lehramtes verpflichtet sei, könne sie sich andererseits nicht als reine Vertreterin eines nur für Christen einsichtigen Sonderethos verstehen. Andernfalls werde sie in einer säkularen Gesellschaft nicht mehr als Gesprächs- und Diskurspartner wahrgenommen.

Ausgehend von dem durch das Zweite Vatikanische Konzil angestoßenen veränderten Selbstverständnis der Moraltheologie plädierte Ernst für die Interpretation des Faches als theologische Ethik. Damit werde deutlich, „dass es primär um Ethik, also um die allgemeine Aufgabe ethischer Reflexion innerhalb der Gesellschaft geht, die hier allerdings in theologischer Perspektive und auf der Grundlage des christlichen Glaubens wahrgenommen wird“, so der Moraltheologe.

Im Anschluss daran formulierte Ernst zwei Thesen, die für eine theologische Ethik zu gelten hätten. Zum einen: Auch in einer theologischen Ethik müssen Entscheidungen und Handlungen durch menschliche Vernunft und Erfahrung begründet werden. Maßstab des Handelns sei die personale Beziehung zwischen Gott und Mensch – weil Gott barmherzig ist, soll der Mensch es auch sein.

Ernst betonte, dass diese Notwendigkeit einer vernunft- und erfahrungsbezogenen Begründung konkreter Normen auch für das Lehramt gelte; dieses müsse bereit sein, die eigene Position der Kritik durch säkulare Vernunft und Erfahrung auszusetzen. Gerade angesichts der aktuellen Missbrauchsfälle sei zu hoffen, „dass das Lehramt die Bereitschaft entwickelt, der Moraltheologie auch im Bereich der Sexualethik mehr Freiraum zuzugestehen. Nur dies kann im Interesse des Glaubens und der Kirche selbst sein“, so der seit 1999 in Würzburg lehrende Theologe.

Frage nach dem eigentlich Christlichen

Die sich aus der ersten These ergebende Frage, worin dann überhaupt noch das eigentlich Christliche einer christlichen bzw. theologisch orientierten Ethik bestehe, beantwortete Ernst mit der zweiten These seines Vortrags: Das christliche Proprium bestehe darin, ethisches Wollen und Handeln möglich zu machen. Dies ermögliche der Glaube dadurch, dass er menschliches Handeln in den neuen und umfassenden Sinnhorizont von Schöpfung, Erlösung und Vollendung der Welt durch Gott stelle. Das eigentliche Grundproblem des Menschen bestehe weniger darin, nicht zu wissen, was richtig ist, sondern darin, dass er durch seinen Egoismus oft daran gehindert werde, das als richtig Erkannte auch zu wollen und zu tun. Urgrund dieses Grundproblems sei letztlich die Existenzangst des Menschen, die ihn im Bewusstsein seiner Endlichkeit und Verletzbarkeit dazu bringe, sich um sich selbst zu sorgen, um jeden Preis und wenn nötig, auch auf Kosten anderer.

Das Potential von Offenbarung und Glaube bestehe gerade darin, dem Menschen zu helfen, seinen Egoismus zu überwinden – durch die Gewissheit, in Christus von Gott bereits im Vorhinein zu aller Leistung unbedingt angenommen zu sein. So werde es möglich, sich dem ethischen Anspruch und der Wirklichkeit der Welt und des Menschen so, wie sie sind, zu stellen. „Der Glaube macht in diesem Sinne auch sehend und bereit, auf die Wirklichkeit einzugehen“, so das Resümee des Moraltheologen.

Positives Gesamtfazit der Vorlesungsreihe

In einer Stellungnahme bezeichnete Dekan Erich Garhammer die auf zwei Semester angelegte Ringvorlesung als vollen Erfolg. Insgesamt ca. 500 Zuhörerinnen und Zuhörer hätten die sechs Vortragsabende der in Kooperation mit der Katholischen Akademie Domschule angebotenen Vorlesungsreihe besucht. Die Beiträge sollen im Frühjahr 2011 im Würzburger Echter-Verlag in der von der Fakultät begründeten neuen Reihe „Würzburger Theologie“ erscheinen.

Von Claudio Ettl

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