English Intern
Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft

DFG-Projekt: Verwundbarkeiten

Eine Heterologie der Inkarnation im Vulnerabilitätsdiskurs

„Vulnerabilität“ entwickelt sich seit etwa dreißig Jahren zu einem Schlüsselbegriff wissen­schaftlicher Forschung, die gesellschaftsrelevant ist und interdisziplinäre Vernetzung erfordert. In Medizin und Ökologie sowie in der Erforschung von Armut, Migration und religionspolitischer Gewalt ist Verwundbarkeit ein entscheidendes Thema. Aber die christliche Theologie, die Wunden, Opfer und Leid zu ihren Kernthemen zählt, beteiligt sich erst seit kurzem an diesen Debatten. So entstanden gravierende Forschungsdefizite, denen sich das beantragte Projekt widmet. Hierzu transformiert es die innertheologische Thematisierung von Wunden in den Vulnerabilitätsdiskurs hinein und fokussiert die prekäre Macht von „Verwundbarkeiten“.

Methodisch arbeitet das Projekt mit der von Michel de Certeau initiierten „Heterologie“, die innertheologische Debatten einem nicht-theologischen Wissenschaftsdiskurs aussetzt. Die Analyse des Vulnerabilitätsdiskurses aus theologischer Sicht zeigt auf, dass die aktuellen Forschungen lediglich den Bereich des Profanen erfassen, wo das Handeln auf Schutz, Sicherheit und das Verringern der Verwundbarkeit zielt. Phänomene wie Selbstmordattentate, aber auch die alltägliche Opferbereitschaft von Menschen werden erst analysierbar, wenn man die Machtwirkungen des Heiligen einbezieht. Die Religionstheorie Georges Batailles erschließt diese Welt des Heiligen, wo Menschen, Staaten, Religionen bereit sind, ein Sacrifice zu bringen und Verwundbarkeit zu riskieren statt zu schützen.

Indem die Gewaltproblematik von Verwundbarkeit im Spannungsfeld von profan und heilig verortet wird, eröffnet sich der christlichen Inkarnationstheologie eine völlig neue Relevanz. Inkarnation offenbart sich als Praxis freiwilliger Verwundbarkeit, die auf die Verwundbarkeit der Anderen antwortet. Nicht nur Gott in der Menschwerdung, sondern auch Menschen sind bereit, ihre eigene Verwundbarkeit zu riskieren, um das Leben anderer Menschen, Kulturen und Religionen zu schützen und zu fördern. In dieses Problemfeld bringt das Forschungs­projekt die Analysen Michel de Certeaus ein und entwickelt eine christliche Antwort auf Judith Butlers Frage, was aus der Trauer um verlorenes Menschenleben Anderes entstehen kann als der Ruf nach Krieg. Die „Heterologie der Inkarnation“ macht das Riskieren eigener Vulnera­bilität, das dem Leben dient, als Humanisierungsprozess deutlich: es ereignet sich, wo Humanität auf dem Spiel steht.

Die im Projekt geplante Zusammenführung von Vulnerabilitätsdiskurs und Inkarnations­theologie eröffnet wissenschaftliches Neuland. Sie erweitert und differenziert die Vulnerabili­tätsforschung und lässt einen Erkenntnisgewinn von interdisziplinärer Relevanz erwarten. Die Forschungsergebnisse werden in einem Fachbuch und in weiteren Publikationen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Aktueller Stand auf der eigens eingerichteten Website.

Aktuelle Schwerpunkte

Schwerpunkt im Sommersemester 2018

„Die Sprache der Anderen brandet zurück.“ Heterologie nach Michel de Certeau als Methodik transdisziplinärer Forschung

Die Würzburger Forschungsgruppe „Vulnerabilität, Sicherheit und Resilienz“ arbeitet transdisziplinär zwischen Theologie und Humanwissenschaften. Im Sommerseminar steht die Frage im Mittelpunkt, mit welcher Methodik die Kooperation zwischen Wissenschaften gelingen kann – angesichts der Tatsache, dass divergierende Wissenschafts-Kulturen sich wechselseitig bereichern, wenn sie durch gemeinsame Problemstellungen verbunden werden.

Im Seminar werden Grundlagentexte von Michel de Certeau herangezogen, der als Kulturtheoretiker, Historiker und Theologe transdisziplinär tätig war und mit seiner „Heterologie“ eine Methodik transdisziplinären Arbeitens entworfen hat.

Fragen der Methodik werden durchgängig auf die Vulnerabilitätsforschung bezogen, die im Zentrum unserer Research Group stehen.

Schwerpunkt im Wintersemester 2017/2018

Vulnerabilität, Sicherheit und Resilienz

Die Forschungsgruppe trifft sich monatlich und bespricht aktuelle Literatur zum Themenfeld „Vulnerabilität, Sicherheit und Resilienz“. Ziel ist es, einen Überblick über den Stand der Vulnerabilitätsforschung zu erlagen. Dieser relativ neue Forschungszweig hat in den letzten Jahren einen enormen Innovationsschub erfahren, dessen Entwicklungen beleuchtet werden. Zudem besteht die Möglichkeit, eigene Forschungsvorhaben zu präsentieren und zu diskutieren.

Treffen der Forschungsgruppe: 10. November, 1. Dezember 2017, 19. Januar 2018, 9. Februar, 2. März, 20. April (10.30 bis 15.30 Uhr, im Beratungsraum der Sonderpädagogik am Wittelsbacherplatz 1, Raum 02.119)

Mitglieder

Leitung

Prof. Dr. theol. Hildegund Keul M.A. apl. Professur für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft, Universität Würzburg

Pierre-Carl Link, M. A., M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Pädagogik bei Verhaltensstörungen, Universität Würzburg

Mitglieder

Dr. Tobias Keiling, PhD Forschungsstipendiat Human Dynamics Centre, Universität Würzburg

Lic. theol. Florian Klug, Wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Dogmatik, Universität Würzburg

Prof.Dr. Otmar Meuffels, Lehrstuhlinhaber für Dogmatik, Universität Würzburg

Priv.-Doz. Dr. phil. habil Thomas Müller, Akad. Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik bei Verhaltensstörungen, Universität Würzburg

Dipl.-Psych. Katharina Obens, Research Fellow am Human Dynamics Centre, Universität Würzburg

Tanja Wilkeneit, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sonderpädagogik V, Universität Würzburg

Univ.-Prof. Dr. phil. habil. Roland Stein, Lehrstuhl für Pädagogik bei Verhaltensstörungen, Universität Würzburg

Assoziierte Mitglieder

MMag. Clarissa Breu, Prae-doc-Assistentin, Universität Wien 

Dr. theol. Bernhard Kohl OP, Assistant Professor University of Toronto

Kooperationspartner

Das Projekt „Globale Systeme und interkulturelle Kompetenz“ (GSiK) ist ein deutschlandweit einmaliges Gemeinschaftsprojekt unterschiedlicher Fachbereiche der Universität Würzburg. Es bietet Studierenden aller Studiengänge die Möglichkeit, studienbegleitend interkulturelle Kompetenzen zu erlangen.

GSiK ist Kooperationspartner unserer Würzburger Forschungsgruppe „Vulnerabilität, Sicherheit und Resilienz“, weil der bewusste Umgang mit Verwundbarkeiten ein wesentlicher Baustein interkultureller Kompetenzen ist.

Chronik & Ergebnisse