Intern
Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft

"Freude ja, Weihnachtskitsch nein"

15.12.2009

Interview des POW mit Professor Dr. Martin Stuflesser zur Liturgie der Christmette in der Heiligen Nacht

 

Würzburg (POW) Sie ist der wohl bestbesuchte Gottesdienst im Jahr: die Christmette. Warum sie in der Nacht gefeiert wird, was sonst noch besonders an ihr ist und was die Christmette für ihn persönlich bedeutet, erklärt der Würzburger Liturgiewissenschaftler Professor Dr. Martin Stuflesser im folgenden Interview.

POW: Welche Bedeutung hat aus liturgischer Sicht die Christmette?
Professor Dr. Martin Stuflesser: An Weihnachten steht die Geburt unseres Herrn Jesus Christus im Mittelpunkt der Feier. Hierbei geht es aber nicht nur um die Feier eines kleinen, frierenden Kindes in der Krippe, sondern um die Feier der Menschwerdung des Gottessohnes. In der liturgischen Feier wird darüber hinaus auch das österliche Geschehen mit in den Blick genommen, wenn wir das Geheimnis unseres Glaubens feiern und bekennen: „Deinen Tod o Herr verkünden wir, deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ – Weihnachten ist also nicht nur ein stimmungsvolles Fest im Kreis der Familie, sondern vor allem ein Fest der Erlösung und des Heiles, das uns durch Jesus Christus geschenkt worden ist.

POW: Warum sollte die Christmette in der Nacht gefeiert werden?
Stuflesser: Die Feier der Christmette in der Nacht geht auf eine alte Tradition zurück, die auf einer Besonderheit in der römischen Papstliturgie beruht. Ungefähr seit dem 6. Jahrhundert sind für das Weihnachtsfest drei Messen üblich: die Christmette in der Nacht, die Hirtenmesse in der Morgendämmerung und die ursprüngliche Festmesse am Morgen des 25. Dezember. Im aktuellen Messbuch gibt es sogar vier Formulare für Weihnachten: am Heiligen Abend, in der Heiligen Nacht, am Morgen und am Tag. Alle genannten Gottesdienste gehören im Prinzip zum 25. Dezember, da nach alter Tradition der liturgische Tag nicht mit Mitternacht, sondern am Vorabend beginnt. Dieses Prinzip kennen wir auch bei den sonntäglichen Vorabendmessen. Eine Christmette bei Tageslicht, das heißt am Nachmittag des 24. Dezembers ist also undenkbar. Sie kann in der Dunkelheit des Abends oder der Nacht gefeiert werden.

POW: Woher stammt die Tradition, zu Beginn das Martyrologium zu verlesen? Und woher stammt der Text?
Stuflesser: Als Martyrologium wird zunächst das kalendarisch geordnete Heiligenverzeichnis der Kirche bezeichnet. Das Martyrologium Romanum wurde 1584 erstmals herausgegeben. Vorläufer dieses Buches gehen mindestes bis ins 5. Jahrhundert zurück. Diese Heiligenlisten und Verzeichnisse der Heiligen wurden auch gottesdienstlich verwendet. So wurden hieraus in der Prim des Stundengebetes die Fest- und Gedenktage angekündigt. Auf solche Festankündigungen geht auch das Martyrologium an Weihnachten zurück. Dort wird die Geburt unseres Herrn Jesus Christus angekündigt und in den großen Zusammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen gestellt.

POW: Erfahrungsgemäß ist die Christmette der bestbesuchte Gottesdienst des Jahres. Was sollte liturgisch daher besonders beachtet werden?
Stuflesser: Erfreulicherweise gehen an Weihnachten, ganz besonders an Heiligabend, viele Menschen in unsere Gottesdienste. Das ist zunächst positiv herauszustellen, denn alle diese Menschen machen sich ja in ihrem Singen, ihrem Beten, ihrem liturgischen Mitfeiern den Ruf des Weihnachtsliedes zu eigen: „Christ der Retter ist da!“ Weil aber diese Gottesdienste von vielen mitgefeiert werden, die sonst nur wenig mit dem liturgischen Leben unserer Gemeinden in Berührung kommen, entsteht eine besondere Situation. Jeder soll sich zunächst willkommen fühlen, denn für sie alle gilt mit den Worten des Propheten Jesaja: „Alle (!) Enden der Erde schauen Gottes Heil!“ Bereits in der Vorbereitung der Gottesdienste ist aber auf die besondere pastorale Situation dieses Gottesdienstes Rücksicht zu nehmen. Auf eine sinnenfällige Feier sollte ganz besonders Wert gelegt werden, so dass diese ihre eigene Kraft tatsächlich entfalten können. Dementsprechend ist es meines Erachtens wichtig, dass nicht versucht wird, die Feiern zusammenzuschrumpfen und sekundäre Elemente hinzuzufügen. Die Symbolsprache dieser Tage soll ernst genommen werden und die Freude unseres Glaubens wirklich aufscheinen lassen. Und zwar so, dass sich die ganze Gemeinde in diese Feier durch Gesang, Gebet, Predigt und die gesamte Atmosphäre miteinbezogen erlebt.

POW: Welche Bedeutung hat die Christmette für Sie ganz persönlich?
Stuflesser: Ich freue mich in jedem Jahr ganz besonders auf die Feier der Christmette. Die Feier der Liturgie ist ja immer in der Spannung, dass die Liturgie, weil sie die Feier der versammelten Gemeinde ist, etwas Objektives, Nüchternes haben muss. Dennoch soll auch ich als Individuum darin meinen Glauben feiern können. Nun tun wir Deutschen uns vielleicht etwas schwerer als etwa Menschen im Süden Europas, hierbei diesen Glauben auch wirklich freudig zu feiern und Emotionen zuzulassen. Gerade in der Christmette gelingt dies aber meistens auf erstaunliche Weise: Die liturgischen Texte in Kombination mit unseren schönen, alten Weihnachtsliedern schaffen eine gute, ausgeglichene Balance zwischen der überbordenden Freude über die Geburt des Gottessohnes, die eben trotzdem nicht in gefühlsduseligen Weihnachtskitsch abdriftet. Wenn dann in der Heiligen Nacht die Gemeinde sich bei Kerzenschein versammelt, wenn sie die Ankündigung der Geburt des Erlösers aller Menschen im Martyrologium hört, wenn sie einstimmen darf in das Gloria der Engel, wenn sie konfrontiert wird mit den großen Prophezeiungen des Propheten Jesaja, wenn ihr verkündet wird: „Heute ist euch der Heiland geboren, Christus, der Herr!“, wenn sie sich schließlich in dankendem Gedächtnis um den Tisch des Herrn versammelt, um die Eucharistie zu feiern, dann können wir mit frohem Herzen singen: „Nun freut euch, ihr Christen!“, denn wir haben allen Grund dazu.

Zur Person:
Professor Dr. Martin Stuflesser (39) ist Inhaber des Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg. Er wurde in Neustadt an der Weinstraße geboren, studierte Katholische Theologie in Mainz und Münster und wurde 1998 zum Doktor der Theologie promoviert; 2004 folgte die Habilitation. Von 2004 bis 2007 hatte Stuflesser Lehraufträge und Gastprofessuren in Halle, Boston/USA und Bochum inne, bevor er im Oktober 2007 als Ordinarius auf den Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft in Würzburg berufen wurde. Seit 1. September 2008 ist er auch Mitglied der Diözesan-Kommission für Liturgie und Kirchenmusik. Durch den Bischof von Mainz, Kardinal Karl Lehmann, wurde er am 27. Juni 2009 in Mainz zum Priester geweiht. Stuflesser hat einen Seelsorgsauftrag für die Pfarreiengemeinschaft Würzburg-Dürrbachtal.

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