Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

Das Christusbild - Herkunft und Ursprung in Ost und West

26.11.2014

Bericht zum Kongress

Das Turiner Grabtuch wird vom 19. April bis 24. Juni 2015 im Dom von Turin erneut ausgestellt. Millionen Pilger werden erwartet. Ohne dies bei seiner schon lange laufenden Planung zu wissen, hat sich das Ostkirchliche Institut an der Universität Würzburg dem Thema Grabtuch angenommen und vom 16.-18. Oktober 2014 einen wissenschaftlichen Kongress zum Thema "Das Christusbild. Herkunft und Ursprung in Ost und West" veranstaltet. Unter der Schirmherrschaft des Würzburger Bischofs haben Gelehrte aus vielen Ländern und aus verschiedenen Fachrichtungen Vorträge zum frühen Christusbild gehalten und ihre Ergebnisse mit der Realität des Turiner Grabtuchs konfrontiert.

Christoph Dohmen (Regensburg) zeigte die alttestamentlichen Voraussetzungen der Verehrung des Christusbildes auf. Im Judentum entwickelte sich das Bilderverbot aus dem Fremdgötterverbot hin zum Verbot der Kultbilder, nicht der Bilder überhaupt. Auch im Christentum werden nicht etwa die Bilder selbst kultisch verehrt, vielmehr vermittelt das Bild stets die Verehrung des Urbildes, das nicht wieder ein anderes Bild sein kann. Im Falle des Christusbildes ist der Verehrte Christus selbst. Stefan Heid (Rom) verdeutlichte, dass bereits in den ältesten erhaltenen Kirchen die Bildausstattung an den Längswänden gleichsam Prozessionen in Richtung Altarraum zeigt, in der Apsis selbst eine klare vertikale Ausrichtung vom Bischofsthron hoch zum Christusbild erkennbar ist. Die Text- und mögliche Bildüberlieferung zum Bild von Kamuliana, das als ältestes wunderbares Christusbild in Konstantinopel verehrt wurde, untersuchte Josef Rist (Bochum). Zu diesem sich rasch selbst kopierenden Bild gibt es zwei unterschiedliche Überlieferungen. Im späten 6. Jh. wurde es nach Konstantinopel überführt, wo es bis Justinian II. als Palladium betrachtet wurde. Im Bilderstreit spielte es keine Rolle. Auf dem zweiten Konzil von Nizaea 787 wurde es zum letzten Mal genannt.

Hans Georg Thümmel (Greifswald) gab, vor dem Hintergrund seines profunden Wissens zur literarischen Überlieferung einen Überblick über den nur noch geringen ikonographischen Bestand von Christusbildern des 6. bis 8. Jahrhunderts in Byzanz. Karl Christian Felmy (Effeltrich) betonte die inkarnatorisch-christologische Verankerung der Ikonen in den Konzilsentscheidungen (bes. von 692 und 787) und in der Theologie des Johannes von Damaskus und beschrieb den Weg zur orthodoxen Theologie der Christus-Ikone, den er an konkreten Beispielen erläuterte.

Besonders bedeutsam wurde das Christusbild in der Geschichte von König Abgar. Diese hat sich aus der Legende über einen authentischen Brief Christi an König Abgar von Edessa in Mesopotamien entwickelt. Diesen Brief des Heilands nahm Gregor Emmenegger (Fribourg) ins Visier. Er legte den Text einer neuen koptischen Version auf einem nur wenige Zentimeter hohen Papyrusamulett vor. Der Brief lief besonders in Ägypten als magischer Text um und wurde mit vielerlei anderen Zauberformeln vermischt. Unerklärlich ist nach Emmenegger, warum das Bild Christi in diesem magischen Zusammenhang keine Verwendung gefunden hat.

Das in Edessa verehrte, angeblich von Christus selbst hergestellte und dem König Abgar übersandte Bild wurde seit dem 6. Jahrhundert als "nicht von Menschenhand gemachte" Ikone, als Acheiropoietos bezeichnet. Die älteste syrische Überlieferung dazu analysierte Peter Bruns (Bamberg). Er konnte zeigen, dass bereits Ephraem der Syrer (373) diese Ikone gekannt hat. Im 9. Jh. wurde sie sicher fußfällig verehrt. Selbst die Araber, die sie 944 an die Byzantiner auslieferten, nahmen davon in Hochachtung Notiz und griffen dabei auf eine sonst unbekannte ostsyrische Tradition zurück, wonach das Bild entstanden sei, als sich der aus der Taufe steigende Jesus abgetrocknet habe. Andrew Palmer (Etten-Leur) befasste sich mit dem als Mandylion bezeichneten Christusbild von Edessa in der griechischen Überlieferung bis 944. Er gab einen Überblick über die reichhaltigen Texte und trug die Idee vor, es könne sich beim Mandylion nicht um ein Farbbild auf flachem Leinen, sondern um eine modellierte Maske eines Lebenden gehandelt haben. Nach Christian Hannick (Würzburg) war die armenische Überlieferung mehr am Brief als am Christusbild König Abgars interessiert. Immerhin findet sich letzteres aber bei Moses von Chorene, der neuerdings von Einigen wieder ins 5. Jahrhundert datiert wird. Jadranka Prolović (Wien) verfolgte die von Byzanz ausgehende, damit verhältnismäßig junge, aber sehr reichhaltige slawische Überlieferung zum Christusbild. In Russland werde das Mandylion am häufigsten und bis heute verehrt. Dabei sei eine Besonderheit, dass der Evangelist Lukas zum Boten des Königs Abgar werde.

Das Turiner Grabtuch selbst behandelten einige hochkarätige Spezialisten. So analysierte Mechthild Flury-Lemberg (Bern) das Grabtuch als Textil und stellte fest, dass nach dem textilen Befund nichts dagegen spräche, dass es aus der Zeit Jesu stammen könne. Außerdem erläuterte die namhafte Expertin für christliche Tuchreliquien die wechselvolle Geschichte dieses Leinens an seinen eigenen, zahlreichen Spuren. Der Physiker Bruno Barberis (Turin) gab einen anschaulichen Überblick über den Stand der naturwissenschaftlichen Forschungen zum Grabtuch und widmete sich dabei der immer noch ungelösten Frage der Bildentstehung, ferner den Blutuntersuchungen, den auf dem Tuch gefundenen Mikroorganismen und den Computeranalysen. Anhand der 2008 angefertigten Makrofotografien beleuchtete er die Möglichkeiten der weiteren Forschungen.

Der Exeget Giuseppe Ghiberti, gleichzeitig Präsident der Turiner Diözesankommission für das Turiner Grabtuch betonte, dass die Bestattungsberichte der Synoptiker ohne Schwierigkeiten mit dem Turiner Grabtuch vereinbar seien. Bei Johannes erkläre sich die Mehrzahl 'othonia' eventuell aus der Größe des Grabtuches, das leicht wie zwei aufeinander liegende Tücher erscheinen kann. Wegen des fehlenden Bildes zwischen den Kopfabdrücken auf dem Grabtuch sei das 'sudarion' vielleicht als Kinnbinde zu verstehen. Für Gian Maria Zaccone, Direktor des Grabtuchmuseums von Turin, liegt der historische Zusammenhang zwischen den frühen Acheiropoieten Christi und dem Turiner Grabtuch in der übereinstimmenden Zugangsweise der Betrachter und Verehrer. Diese war nicht von intellektueller Neugier, sondern von dem frommen Wunsch getragen, dem Mysterium des fleischgewordenen Gottes zu begegnen und so unmittelbar mit dem tragischsten Moment des irdischen Lebens Jesu verbunden zu werden.

Den auch neuerdings wieder energisch bestrittenen Zusammenhang zwischen Edessabild und Turiner Grabtuch verfolgten einige Referenten. So ging Rainer Riesner (Dortmund) der Frage nach, ob es Hinweise für einen Weg des Turiner Grabtuchs von Jerusalem nach Edessa gebe. Von der plausiblen Annahme ausgehend, dass die Tücher aus dem Grab am ehesten innerhalb der Familie des Verstorbenen aufbewahrt worden seien, konnte er aufzeigen, dass in einem nichtkanonischen Text der Herrenbruder Jakobus tatsächlich mit Addai, dem Missionar von Edessa, verbunden ist. Karlheinz Dietz (Würzburg) wies darauf hin, dass alle Kopisten vor der Fotografie den Mann auf dem Turiner Grabtuch mit offenen Augen dargestellt haben. Ein Widerspruch zur Abgarlegende sei also nicht gegeben. Letztere hatte nach neueren Untersuchungen einen starken Bezug zur Passion Christi und zudem gebe es nicht zu übersehende, recht alte Texte, die dem Abgarbild implizit und sogar explizit die Eigenschaft eines Ganzkörperbildes zuweisen und es nicht auf das 'Mandylion' reduzieren. Carolina Lutzka (Würzburg) untersuchte die Hymnentexte der Menäen zum 16. August, dem Gedächtnis der Übertragung des Mandylions von Edessa nach Konstantinopel, hinsichtlich der Bezeichnungen, der Beschaffenheit, des Materials und der Entstehung des Christusbildes. Der Bezug zum Turiner Grabtuch ist nicht auszuschließen.

Jannic Durand (Paris) betonte, dass das in Konstantinopel verehrte Mandylion durch den hl. König Ludwig IX. um 1240 in die Sainte Chapelle von Paris gebracht, später als 'Veronica' bezeichnet wurde. Es war also entgegen gelegentlicher Hypothesen unmöglich mit dem Turiner Grabtuch identisch. Besonders auffallend und erklärungsbedürftig ist nach Durand, dass diese Bild-Reliquie bis zu ihrer Zerstörung in der Französischen Revolution im byzantinischen Reliquiar geblieben ist und kein Interesse auf sich gezogen hat. Während Ilaria Ramelli (Mailand) in einem (gesendeten) Beitrag die Gleichsetzung von Sindōn der Evangelien, Mandylion und Sindone di Torino für wahrscheinlich hielt, betonte auch Alexei Lidov (Moskau), dass es sich beim Grabtuch und dem Mandylion um zwei verschiedene Reliquien gehandelt hat, die im Rahmen des heiligen Raums (Hierotopie) in der Pharoskapelle von Konstantinopel aufbewahrt wurden. Die dortige Sindon war vielleicht mit dem Turiner Grabtuch identisch. Drei Tücher, die als Aēr, Epitaphios Thrēnos bzw. slawisch Plaščanica und Antimension bezeichnet und im liturgischen Gebrauch der orthodoxen Kirche verwendet werden, erinnern an das Turiner Grabtuch; ihre zeitliche Entwicklung und ihre Übereinstimmungen und Unterschiede behandelte anschaulich Enrico Morini (Bologna), wohingegen Martin Illert (Hannover) den theologischen Gehalt der Legende vom Christusbild von Edessa unterstrich und sich hinsichtlich der Identität mit dem Turiner Grabtuch zurückhaltend äußerte.

Bischof Friedhelm Hofmann, der Schirmherr des Symposiums, zeigte in seinem Abschlussvortrag am Beispiel moderner Christusbilder eindrucksvoll den individuellen künstlerischen Umgang in Vergangenheit und Gegenwart mit der Darstellung des inkarnierten Gottessohnes auf. Wie in den stets neu zusammengestellten Installationen 'salve sancta facies' von Dorothee von Windheim finden wir das Christusbild jeweils neu als wahres Bild in der individuellen Wahrnehmung.

Exegeten des Alten und Neuen Testaments, Patristiker und Philologen des Christlichen Orients, Historiker und Byzantinisten, Slawisten, Kunst- und Textilhistoriker haben drei Tage lang über ein hochspannendes Thema auf sehr hohem Niveau diskutiert. Von Anfang an war dabei die Frage nach der Authentizität des Turiner Grabtuchs nicht das Anliegen, da diese mit wissenschaftlichen Methoden schwerlich positiv zu entscheiden ist. Die Naturwissenschaften können bestenfalls sagen, was das Turiner Grabtuch nicht ist, weil es ‒ wie ein jüdischer Grabtuchanhänger einmal sagte ‒ kein akzeptables naturwissenschaftliches Experiment zum Nachweis Christi gibt. Die Geschichtswissenschaften aber gehören ihrem Wesen nach in den Bereich der von Jakob Grimm so getauften ‚ungenauen Wissenschaften’: ihnen bleibt nur, die Wahrheit anzustreben und sich mit Wahrscheinlichkeiten zu bescheiden. Auch nach diesem Symposium bleibt das Paradoxon bestehen, dass das erst spät in der Überlieferung auftauchende Kreuzigungs-«Bild» des Turiner Grabtuchs ein Antlitz zeigt, welches der «kanonischen» Christusikone verblüffend ähnelt, aber offenbar am Ende der Entwicklung erscheint, obwohl es typologisch und aus mehreren anderen Gründen eher am Anfang stehen sollte. Das Turiner Grabtuch, was immer es ist, ist eine Realität, die Realität eines der anrührendsten Bilder: eine Erinnerung an die Fähigkeit des Menschen zur grenzenlosen Grausamkeit und an die Hoffnung auf deren Überwindung.

Die Kongressakten werden in der vom Ostkirchlichen Institut herausgegebenen Reihe „Das Östliche Christentum“ (Echter Verlag Würzburg) veröffentlicht.

 

Text und Bilder: Karlheinz Dietz

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